Rosen, F. [1909 & 1919]
Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers = Rubaijat-I-Omar-I-Khajjam. Aus dem Persischen übertragen von Friedrich Rosen. Stuttgart; Berlin, Deutsche Verlagsanstalt, 1909
Des Lebens Karawane zieht mit Macht
Dahin, und jeder Tag, den du verbracht
Ohne Genuß, ist ewiger Verlust.
Schenk ein, Saki! Es schwindet schon die Nacht.
Weißt du, warum bei jedes Frührots Schein
Der Hahn dich schreckt durch sein eindringlich Schrein?
Weil wieder eine Nacht vom Leben schwand,
Und du schläfst sorglos in den Tag hinein.
Unter des Mondes wechselvollem Licht
Das Schicksal uns kein Morgenrot verspricht.
Drum trink im Schein des Monds, denn mancher Mond
Blickt auf die Erde einst und sieht uns nicht!
Geschlechter sind erglüht wie helle Funken,
Haben gelebt, geliebt, gehaßt, getrunken;
Sie leerten hier ein Glas und sind verlöscht,
Sind in den Staub der Ewigkeit versunken.
Die goldnen Lichter, die am blauen Weltrad gehn,
Haben sich viel gedreht und werden viel sich drehn. -
Und wir, im ew'gen Kreislauf der Erscheinungen,
Kommen auf kurze Zeit, um wieder zu vergehn.
Was hat dies Weltrad nicht viel edles Blut vergossen!
Wie manche Blume welkt, die kaum der Erd' entsprossen!
Verlaß dich, Knabe, nicht auf deiner Jugend Glanz!
Wie manche Knospe fiel, ehe sie noch ward erschlossen!
In diesem Garten, der erstickt das Gute,
Bring ich mein Leben hin mit trübem Mute,
So wie die Knospe ist mein Herz beengt
Und wie die Tulpe rot von eignem Blute.
Die Rose, die in meinem Garten stand,
Sprach: "Ich bin Joseph aus Aegyptenland."
"An welchem Zeichen", fragt' ich, "kenn ich das?"
Sie sprach: "An meinem blutigen Gewand."
Was hab' ich denn von all des Lebens Plagen? -Nichts!
Von aller meiner Müh' davongetragen? -Nichts!
Was nützt mir's, daß ein Licht ich war, wenn ich verbrannt?
Was nützt das Glas Djemschids, wenns doch zerschlagen? - Nichts!
All unser Leben und Streben -was taugt's?
Und all unser Wirken und Weben -wer braucht's?
Im großen Schicksalsofen verbrennt
So vieles Edle und Gute -wo raucht's?
Wenn längst wir nicht mehr sind, wird sich dies Weltrad drehn,
Wenn unsre Spuren längst im Sand der Zeit verwehn.
Einst waren wir noch nicht -und 's hat nichts ausgemacht;
Wenn einst wir nicht mehr sind - wird's auch noch weitergehn.
Was kann das Leben uns denn nun noch weiter frommen?
Was es uns etwa bringt, wird uns auch gleich genommen! -
Wüßten die Ungebornen nur, wie wenig wir
Vom Leben ziehn - sie würden nicht erst kommen.
War einst ein Schloß, das bis zum Himmel ragte,
Vor dessen Mauern Königsstolz verzagte,
Auf dessen Trümmern klagt jetzt des Täubchens Ruf,
Der klingt, als ob's nur wo, wo? wo, wo? fragte.
Ein Vogel saß einst auf dem Wall von Tûs,
Vor ihm der Schädel König Keikawûs,
Und klagte immerfort: "Afssûs, afssûs!
Wo bleibt der Glocken und der Pauken Gruß?"
Der Töpfer in der Werkstatt stand
Und formte einen Krug gewandt,
Den Deckel aus eines Königs Kopf,
Den Henkel aus eines Bettlers Hand.
O Töpfer, nimm dich etwas mehr in acht,
Behandle deinen Ton mit mehr Bedacht!
Du hast vielleicht den Finger Feriduns
Und Cyrus' Hand mit auf dein Rad gebracht.
Einst schwebte dieser Krug, wie ich, in Liebesbangen,
In dunkler Locken Netz war er, wie ich, gefangen;
Und was am Hals des Krugs als Henkel du erblickst,
War eine Hand einst, die der Liebsten Hals umfangen.
Gestern zerschlug ich meinen Krug mit Wein
In meiner Trunkenheit an einem Stein.
Da sprach des Kruges Scherbe: "Wie du bist,
War ich, und wie ich bin, wirst du einst sein."
Was predigst du vom Fasten und vom Beten?
Statt zur Moschee laß uns ins Weinhaus treten,
Füll Krug und Becher, eh' sie deinen Staub,
Khajjam, zu Krügen und zu Bechern kneten.
O komm, Geliebte, komm, es sinkt die Nacht,
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifels Dunkel! Nimm den Krug und trink,
Eh' man aus unserm Staube Krüge macht.
Dort auf dem Wiesengrün, vom Bach umflossen,
Sind tausend prächt'ge Blumen aufgeschossen.
Tritt leise auf das Grün! Wer weiß, ob's nicht
Aus einer Blumenwangigen Staub entsprossen! -
Wo aus der Erde Tulpen rot entsprossen,
Ist sicher eines Königs Blut geflossen.
Und wo ein Veilchen aus der Erde blickt,
Hat einst ein holdes Auge sich geschlossen.
Nimm an, dein Leben sei ganz nach Wunsch gewesen -was dann?
Und wenn das Lebensbuch nun ausgelesen -was dann?
Nimm an, du lebtest in Freuden hundert Jahr -
Nimm meinthalb an, es seien zweihundert gewesen - was dann?
Und lebtest du dreihundert Jahr und drüber noch hinaus,
Aus dieser Karawanserei mußt du einst doch hinaus.
Ob du ein stolzer König warst oder ob bettelarm,
Das kommt an jenem letzten Tag aufs selbe doch hinaus.
Von allen, die den weiten Weg gemacht,
Hat keiner Nachricht noch zurückgebracht.
Laß nur nichts liegen in dieser Herbergswelt!
Nie kehrt zurück, wer sich erst aufgemacht.
Der Jugend Buch ist aus - und war doch kaum begonnen!
Kaum hat der Lenz geblüht, ist er auch schon verronnen.
Ich merkt' nicht, wie sie kam, noch wie sie flog davon,
Die holde Nachtigall, die Zeit der Jugendwonnen.
O Zeltmacher, dein Leib gleicht einem Zelt,
Der Sultan "Geist" nur kurze Rast drin hält.
Und wenn der Sultan sich zum Aufbruch schickt,
Dann kommt der Tod und bricht es ab, das Zelt.
Von dieser Erdenwelt scheid' ich nun ab,
Die kurze Zeit lang mir ein Obdach gab;
Von allen Rätseln ward mir keins gelöst,
Und tausend Zweifel nehm' ich mit ins Grab.
Als ich noch in der goldnen Jugend stand,
Schien mir des Daseins Rätsel fast bekannt
Doch jetzt, am Schluß des Lebens, seh' ich wohl,
Daß ich von allem nicht ein Wort verstand.
Ich war ein Falke, den sein kühner Flug
Hinauf zum Reich der ew'gen Rätsel trug.
Dort fand ich keinen, der sie mir enthüllt,
Und kehrt zur Erde wieder bald genug.
Hoch überm Firmament sucht' ich die Quelle
Von Vorbestimmung, Paradies und Hölle.
Da sprach mein weiser Lehrer: "Freund, in dir
Allein sind Kismet, Paradies und Hölle."
Von dieses Weltrads Drehung verstand ich nichts,
Und außer Zweifeln darunter fand ich nichts.
Im Ringen nach Erkenntnis bracht' ich hin
Mein langes Leben - und doch erkannt' ich nichts.
Was diesen goldnen Dom in Umlauf einst gesetzt,
Und wie sein stolzer Bau ins Wanken kommt zuletzt,
Hat keines Weisen Stein zu finden noch vermocht
Und keine Waage noch, kein Maßstab abgeschätzt.
Kein Mensch erklärt die Rätsel der Natur,
Kein Mensch setzt einen Schritt nur aus der Spur,
Die seine Wesensart ihm vorschrieb, und es bleibt
Der größte Meister doch ein Lehrling nur.
Von diesem Kreis, in dem wir hier uns drehn,
Kann ich nicht Anfangspunkt, nicht Endpunkt sehn.
Noch keiner sagt' mir, wo wir kamen her,
Und keiner weiß, wohin von hier wir gehn. -
Mit Schmerzen führt'st ins Dasein Du mich ein.
Das Leben gab mir nichts als lauter Pein,
Mit Widerstreben scheid' ich. - Sprich, was war
Der Zweck von meinem Kommen, Gehn und Sein?
Was hat es Dir genützt, daß ich gekommen?
Was hilft's Dir, wenn Du einst mich fortgenommen?
Ach, keines Menschen Ohr hat je vernommen,
Wozu von hier wir gehn, wozu hierher wir kommen.
Als Du das Leben schufst, schufst Du das Sterben:
Uns, Deine Werke, weiht'st Du dem Verderben.
Wenn schlecht Dein Werk war, sprich, wen trifft die Schuld?
Und war es gut, warum schlägst Du's in Scherben?
Zuerst hatt' Ich mein Ich noch nicht erkannt,
Zuletzt zerschneidst Du des Bewußtseins Band.
Da dies von Anfang Deine Absicht war,
Was macht'st Du mich erst mit mir selbst bekannt?
Das Rätsel dieser Welt löst weder du noch ich,
Jene geheime Schrift liest weder du noch ich. -
Wir wüßten beide gern, was jener Schleier birgt,
Doch wenn der Schleier fällt, bist weder du noch ich.
Könnt'st lebend du der Welt Geheimnis fassen,
Würd'st auch im Tod von diesem Hort nicht lassen.
Was lebend du nicht fass'st, wie willst du das
Erst fassen, wenn die Sinne dir erblassen?
Die einen streiten viel um Glauben und Bekenntnis,
Die andern grübeln tief nach Wissen und Erkenntnis;
So wird es gehn, bis einst der Ruf sie schreckt:
Es fehlt so euch wie euch zur Wahrheit das Verständnis.
Um Dogmen und Satzungen streiten die einen,
Die andern um Glauben oder Verneinen.
Wer sind nun die, denen die Wahrheit sich zeigt?
Die Antwort ertönt: sie zeigt sich keinen.
Der Welt Geheimnis wirst du nicht ergründen,
as Wort, das keiner fand, wirst du nicht finden.
Schaff dir mit Wein ein Erdenparadies!
Obs dort ein Paradies gibt, wird sich finden.
Von allen, die auf Erden ich gekannt,
Ich nur zwei Arten Menschen glücklich fand:
Den, der der Welt Geheimnis tief erforscht,
Und den, der nicht ein Wort davon verstand.
In einem Arm den Krug, im andern den Koran,
Bald auf dem graden Weg, bald auf verbotner Bahn,
So bin ich unter dem türkisgewölbten Dom
Kein ganzer Heide und kein rechter Muselman.
Als Gott einst meinen Brei zurechtgegossen,
Ist Gut' und Böses mit hineingeflossen.
Drum kann ich wahrlich auch nicht besser sein,
Als Er mich selbst einst in die Form gegossen.
Nach Regeln der Vernunft zu leben,
Ist zwar ein gar vergeblich Streben,
Doch Meister Schicksals flinke Hand
Schlägt tüchtig zu und lehrt uns leben.
Durch Heuchelei kannst du das Volk belügen,
Was Gott dir schickt, darein mußt du dich fügen;
Was du für List und Ränke auch ersinnst,
Was hilft's? Das Schicksal kannst du nicht betrügen.
Der bin ich nicht, daß ich vorm Tode könnte beben;
Viel eher als vorm Tod bangt es mir noch vorm Leben.
Gott hat das Leben mir geliehn auf kurze Zeit,
Wenn er's zurückverlangt, bin ich's bereit zu geben.
Die Großen, die die Ämter all gepachtet
Und vor Begier nach Gold und Ehr' verschmachtet,
Die sehen den kaum als 'nen Menschen an,
Wer nicht, wie sie, nach Geld und Titeln trachtet.
Die keinen Schritt jemals vom Weg gemacht,
Die bis zum Morgen nie die lange Nacht
Im Suchen nach der Wahrheit durchgewacht,
Und manchen Braven um Leib und Ehr' gebracht.
Laß Weise nur und Edle in dein Haus,
Nimm vor dem Toren meilenweit Reißaus.
Reicht dir ein Weiser Gift, so trink's getrost,
Reicht Gegengift ein Tor dir, gieß es aus!
Der Menschen eitle Lust gleicht einem bösen Hunde,
Der durch sein leer Gebell uns stört zu jeder Stunde,
Fuchsartig schleicht und wie ein Hase schläft,
Mit Wolfestücke uns versetzt manch tiefe Wunde.
Solche Verbote, wo es ausgeschlossen,
Daß man sie einhält, sind denn das nicht Possen?
Ist das nicht so, als riefst Du: "Umgedreht
Den vollen Becher, doch nichts ausgegossen?"
Du hast uns tausend Fallen aufgestellt
Und sprichst: "Verdammt ist der, der in sie fällt!"
Wir sündigen -und tun doch Dein Gebot,
Denn Dein Gebot beherrscht die ganze Welt.
O Herr! von Selbstgefälligkeit erlöse mich!
Lenk mich zu Dir, und von mir selbst erlöse mich!
Solang ich nüchtem bin, kenn' Gut und Böse ich,
Vergessen laß im Rausch Du Gut und Böse mich.
Als gestern mich mein Fuß ins Weinhaus trug,
Sah einen trunknen Greis ich, den ich frug:
"Fürcht'st du dich nicht vor Gott?" Er aber sprach:
"Gott ist ja gnädig, trink! Du bist nicht klug."
Khajjam! ob deiner Sünden Last was schämst du dich?
Warum zu beßrer Einsicht nicht bequemst du dich?
Dem, der nicht sündigt, wird auch nicht verziehn;
Vergebung folgt der Sünde -drum was grämst du dich?
Warum denn nur den Weltlauf angeklagt?
Warum mit Grübeln nur das Herz zernagt?
Sei guter Dinge, denn man hat dich ja
Von allem Anfang nicht um Rat gefragt.
Daß ich geboren ward, verdank' ich Deiner Huld,
Mein hohes Alter Deiner Langmut und Geduld.
Nach hundertjähr'gem Sündenleben will ich sehn,
Ob Deine Gnade größer oder meine Schuld.
Ich hab' auf Deine Huld mich ganz und gar verlassen
Und Deiner Lehren Weg seit manchem Jahr verlassen.
Wo Deine Gnade strahlt, ist ja doch alles gleich:
Versäumt ist wie Geschehn, Getan wie Unterlassen.
Der Böses du getan und Gutes unterlassen
Und dich auf Gottes Huld und Gnade hast verlassen,
Glaub mir! trotz Gottes Huld ist doch am Jüngsten Tag
Versäumt nicht gleich Geschehn, Getan nicht Unterlassen.
O halt mir fern des Lebens bange Sorgen,
Mein böses Tun halt vor der Welt verborgen;
Laß heut mich glücklich sein, und was Dir dann
In Deiner Gnade gut dünkt - tu mir morgen.
O Frömmler, einen Wunsch nur mir erfülle!
Spar deinen guten Rat und schweig mir stille.
Glaub mir, ich geh' gradaus, du siehst nur schief -
Drum laß mich gehn und kauf dir eine Brille!
Zu dem Propheten sollt ihr gehh und sagen:
"Es läßt Khajjam dich grüßen und dich fragen:
Wie kommt's, daß saure Milch du mir erlaubt
Und daß ich süßem Weine soll entsagen?"
Geht zu Khajjam und sagt, ich laß ihm sagen:
"Ein Tor nur kann so unvernünftig fragen.
Den Weisen trifft ja nicht mein Weinverbot,
Allein dem Toren mußt ich ihn versagen."
Was heut hierher mich trieb? Ich sag' es unverhohlen:
Ich hatt' in der Moschee 'nen Betteppich gestohlen,
Der ist jetzt alt und schlecht, drum kam - ein seltner Gast -
Ich heute wieder her, 'nen neuen mir zu holen.
In Kirchen und Moscheen und Synagogen
Wird man um seiner Seele Ruh' betrogen.
Doch dem, der der Natur Geheimnis ahnt,
Wird keine Angst vorm jenseits vorgelogen.
Kaaba und Götzenhaus bedeuten Knechtung,
Der Christen Glocken, hört, sie läuten Knechtung.
Kirche und heil'ge Schnur und Rosenkranz und Kreuz,
Wahrlich, sie alle nur bedeuten Knechtung.
Der ganzen Schöpfung letzter Zweck sind wir,
Im Weltenauge sind die Sehkraft wir.
Die ganze Welt ist wie ein großer Ring,
Wir sind der Edelstein, des Ringes Zier.
Der Tropfen weint: "Wie bin vom Meer ich weit!"
Das Weltmeer lacht: "Vergeblich ist dein Leid!
Sind wir doch alle Eins, sind alle Gott -
Uns trennt ja nur das winz'ge Pünktchen 'Zeit'-"
War auch der Tugend Kleinod nicht das meine,
Strahlt' ich auch nicht in voller Sündenreine,
So zweifl' ich doch an Deiner Gnade nicht,
Nannt' ich doch niemals Zwei das ewig Eine.
Da nun einmal das Glück den meidet, der Verstand hat,
Und da man Toren nur im Glücke stets gekannt hat,
So trink, was den Verstand benimmt, on dann
Das Glück nicht Sympathie mit deinem Unverstand hat.
Die Zeit des Frühtrunks rückt heran, o Schenke!
Zum Weinhaus führ mich hin, wohlan, o Schenke!
Was fruchtet jetzt noch frommer Rat, sei still,
Spar deine Sprüche und stoß an, o Schenke!
Eh' dich die Sorgen ganz erschlagen haben,
Sollst du am rosenfarbnen Wein dich laben;
Du bist ja doch kein Gold, das man verscharrt,
Um es dann später wieder auszugraben!
Mit Weltschmerz deine Seele plage nicht!
Um das, was einmal hin ist, klage nicht!
An Wein und süßen Lippen lab dein Herz,
Und in den Wind dein Leben schlage nicht!
Seit Mond und Venus ihre Bahnen gehn,
Hat man was Beßres nicht als Wein gesehn.
Mich wundert's nur, daß jemand Wein verkauft!
Was kann er Beßres denn dafür erstehn?
Der Koran sagt, im Paradies sei Wein
Der Frommen Lohn und holde Mägdelein. -
Dann sei schon hier mir Lieb' und Wein erlaubt,
Wenn's droben doch dasselbe nur soll sein!
Ich trinke nicht aus bloßer Lust am Zechen,
Noch um des Korans Lehre zu durchbrechen,
Nur um des Nichtseins kurze Illusion! -
Das ist der Grund, aus dem die Weisen zechen.
Der flüssige Rubin, der sich ergießt
Und lachend aus dem Hals der Flasche fließt,
Ist eines Herzens Blut - und der Krystall
Ist eine Träne, die ihn rings umschließt.
Wenn Du mit meinem Elend Mitleid hast,
Nimm von der Schulter mir der Sünden Last!
Verzeih dem Fug, der nach der Schenke strebt,
Verzeih der Hand, die nach dem Becher faßt!
Ich nahm mir endlich vor, nüchtern und fromm zu sein,
Und in mein Herze zog nun voller Friede ein.
Doch ach! die Frömmigkeit zerschellt' am ersten Krug,
Die Nüchternheit ertrank im ersten Becher Wein!
An jedem Tag nehm' ich mir vor aufs neue,
Daß ich das Trinken lasse und bereue;
Doch nun voll Rosenduft erschienen ist
Der holde Lenz -bereu' ich meine Reue.
Heut ist der holde Tag nicht warm und kalt auch nicht,
Die Wolke wäscht der Welt ihr Blumenangesicht,
Ich hör' die Nachtigall, wie sie zur Rose spricht:
"Blüh auf und lieb und trink, eh' dich der Herbstwind bricht."
Was dir die Zukunft bringt, das frage nicht,
Und die vergangne Zeit beklage nicht.
Allein das Bargeld "Gegenwart" hat Wert,
Nach dem, was war und sein wird, frage nicht.
Mach's wie die Tulpe, schwing zum Neujahrsfest
Den Purpurkelch! - und bring des Jahres Rest
Mit einer tulpenwangigen Maid dahin,
Eh' dich des Schicksals Glut verwelken läßt.
Ein Liederbuch, ein Brot, ein irdner Krug voll Wein,
Vom Lamm ein Schenkelstück -und dann so ganz allein
In weiter Flur mit dir, du tulpenwang'ge Maid,
Ein Sultan möchte wohl an meiner Stelle sein!
O weh um jenes Herz, in dem kein Feuer brennt
Das nicht die hehre Glut der Liebessonne kennt;
Wer einen ganzen Tag ohn' Liebe hingebracht,
Tut recht, wenn jenen Tag er 'nen verlornen nennt.
Wahrhaft Verliebten ist Schön und Häßlich gleich;
Sie fragen nicht, ob Höll', ob Himmelreich,
Ob ihre Kleidung Lumpen oder Samt,
Ihr Pfühl ein Backstein oder Polster weich.
Wenn ich einst sterbe, waschet mich mit Wein,
Ein lust'ges Trinklied soll mein Grablied sein!
Und wenn am Jüngsten Tag man nach mir fragt,
So sucht im Staub der Schenke mein Gebein.
Ich geh' dahin und laß die Welt zurück im Streit,
Und hatt' von hundert Perlen doch kaum eine aufgereiht. -
Unausgesprochen blieb so manches tiefe Wort,
Weil's doch niemals verstanden hätte meine Zeit.
Omar, der Zeltmacher, hat von früh bis spät
An manchem Zelt der Philosophie genäht,
Bis Schicksals Schere sein Lebensseil ihm kappt
Und Trödler Tod ihn um ein Nichts ersteht.
Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers = Rubaijat-I-Omar-I-Khajjam. Aus dem Persischen übertragen von Friedrich Rosen. III. vermehrte Auflage. Stuttgart; Berlin, Deutsche Verlagsanstalt, 1919
Des Lebens Karawane zieht mit Macht
Dahin, und jeder Tag, den du verbracht
Ohne Genuß, ist ewiger Verlust.
Schenk ein, Saki! Es schwindet schon die Nacht.
Vom Himmel reißt der Morgen das schwarze Tuch
Der Nacht, drum füll mit Magierwein den Krug,
Saki, und reib dir deine Augen wach!
Glaub' mir, du schläfst dereinst noch lang genug. -
Weißt du, warum bei jedes Frührots Schein
Der Hahn dich schreckt durch sein eindringlich Schrein?
Weil wieder eine Nacht vom Leben schwand,
Und du schläfst sorglos in den Tag hinein.
Unter des Mondes wechselvollem Licht
Das Schicksal uns kein Morgenrot verspricht.
Drum trink im Schein des Monds, denn mancher Mond
Blickt auf die Erde einst und sieht uns nicht!
Geschlechter sind erglüht wie helle Funken,
Haben gelebt, geliebt, gehaßt, getrunken;
Sie leerten hier ein Glas und sind verlöscht,
Sind in den Staub der Ewigkeit versunken.
Die goldnen Lichter, die am blauen Weltrad gehn,
Haben sich viel gedreht und werden viel sich drehn. -
Und wir, im ew'gen Kreislauf der Erscheinungen,
Kommen auf kurze Zeit, um wieder zu vergehn.
Die wir der göttlichen Begeist'rung Wein genossen,
Aus niedrem Stoff erreicht des Himmels höchste Sprossen,
Wenn alles Körperliche endlich abgestreift, -
Werden wir wieder Staub, aus dem wir sind entsprossen. -
Der du so tief gegrübelt Tag und Nacht
Und über die Welt und Leben nachgedacht,
Sieh nur einmal, wie's dieses Schicksalsrad
Bisher mit allen andern hat gemacht.
Das Weltrad hat stets Böses nur im Sinn,
Was es auch bringt, bleibt doch nicht dein Gewinn.
Und legt es wirklich mal ein Zuckerstück
Dir in den Mund, schluck's nicht, 's ist Gift darin.
Was hat dies Weltrad nicht viel edles Blut vergossen!
Wie manche Blume welkt, die kaum der Erd' entsprossen!
Verlaß dich, Knabe, nicht auf deiner Jugend Glanz!
Wie manche Knospe fiel, ehe sie noch ward erschlossen!
In diesem Garten, der erstickt das Gute,
Bring ich mein Leben hin mit trübem Mute,
So wie die Knospe ist mein Herz beengt
Und wie die Tulpe rot von eignem Blute.
Die Rose, die in meinem Garten stand,
Sprach: "Ich bin Joseph aus Aegyptenland."
"An welchem Zeichen", fragt' ich, "kenn ich das?"
Sie sprach: "An meinem blutigen Gewand."
Was hab' ich denn von all des Lebens Plagen? -Nichts!
Von aller meiner Müh' davongetragen? -Nichts!
Was nützt mir's, daß ein Licht ich war, wenn ich verbrannt?
Was nützt das Glas Djemschids, wenns doch zerschlagen? - Nichts!
All unser Leben und Streben -was taugt's?
Und all unser Wirken und Weben -wer braucht's?
Im großen Schicksalsofen verbrennt
So vieles Edle und Gute -wo raucht's?
Wenn längst wir nicht mehr sind, wird sich dies Weltrad drehn,
Wenn unsre Spuren längst im Sand der Zeit verwehn.
Einst waren wir noch nicht -und 's hat nichts ausgemacht;
Wenn einst wir nicht mehr sind - wird's auch noch weitergehn.
Was kann das Leben uns denn nun noch weiter frommen?
Was es uns etwa bringt, wird uns auch gleich genommen! -
Wüßten die Ungebornen nur, wie wenig wir
Vom Leben ziehn - sie würden nicht erst kommen.
Da ja in diesem Haus mit den zwei Toren
Von allem, was wir uns zur Lust erkoren,
Uns nichts verbleibt, so war es besser schon
Uns hätte unsre Mutter nie geboren. —
War einst ein Schloß, das bis zum Himmel ragte,
Vor dessen Mauern Königsstolz verzagte,
Auf dessen Trümmern klagt jetzt des Täubchens Ruf,
Der klingt, als ob's nur wo, wo? wo, wo? fragte.
Ein Vogel saß einst auf dem Wall von Tûs,
Vor ihm der Schädel König Keikawûs,
Und klagte immerfort: "Afssûs, afssûs!
Wo bleibt der Glocken und der Pauken Gruß?"
Dem Töpfer sah einst im Basar ich zu,
Wie er den Lehm zerstampfte ohne Ruh.
Da hört' ich, wie der Lehm ihn leise bat:
"Nur sachte, Bruder, einst war ich wie du."
Der Töpfer in der Werkstatt stand
Und formte einen Krug gewandt,
Den Deckel aus eines Königs Kopf,
Den Henkel aus eines Bettlers Hand.
O Töpfer, nimm dich etwas mehr in acht,
Behandle deinen Ton mit mehr Bedacht!
Du hast vielleicht den Finger Feriduns
Und Cyrus' Hand mit auf dein Rad gebracht.
Einst schwebte dieser Krug, wie ich, in Liebesbangen,
In dunkler Locken Netz war er, wie ich, gefangen;
Und was am Hals des Krugs als Henkel du erblickst,
War eine Hand einst, die der Liebsten Hals umfangen.
Gestern zerschlug ich meinen Krug mit Wein
In meiner Trunkenheit an einem Stein.
Da sprach des Kruges Scherbe: "Wie du bist,
War ich, und wie ich bin, wirst du einst sein."
Was predigst du vom Fasten und vom Beten?
Statt zur Moschee laß uns ins Weinhaus treten,
Füll Krug und Becher, eh' sie deinen Staub,
Khajjam, zu Krügen und zu Bechern kneten.
O komm, Geliebte, komm, es sinkt die Nacht,
Verscheuche mir durch deiner Schönheit Pracht
Des Zweifels Dunkel! Nimm den Krug und trink,
Eh' man aus unserm Staube Krüge macht.
Laß uns am Bachesrand im Grünen liegen
Und such an Krug und Becher dein Vergnügen!
Manch holde Maid, zypressenschlank wie du,
Ward hundertmal zu Bechern und zu Krügen. -
Dort auf dem Wiesengrün, vom Bach umflossen,
Sind tausend prächt'ge Blumen aufgeschossen.
Tritt leise auf das Grün! Wer weiß, ob's nicht
Aus einer Blumenwangigen Staub entsprossen! -
Wo aus der Erde Tulpen rot entsprossen,
Ist sicher eines Königs Blut geflossen.
Und wo ein Veilchen aus der Erde blickt,
Hat einst ein holdes Auge sich geschlossen.
Siehst du der Blumen Pracht, das frische Laub?
In einer Woche ist 's des Herbstwindes Raub.
Drum trink und pflücke nur die Blumen schnell
Eh' du wie sie zerfallen bist zu Staub!
Vor dem, was kommt, werd' dir die Wang' nicht blaß,
Von dem, was war, werd' dir das Aug' nicht naß!
Grase nur froh der Erde Halme ab,
Eh' dich die Sichel selbst hinmäht wie Gras.
Nimm an, dein Leben sei ganz nach Wunsch gewesen -was dann?
Und wenn das Lebensbuch nun ausgelesen -was dann?
Nimm an, du lebtest in Freuden hundert Jahr -
Nimm meinthalb an, es seien zweihundert gewesen - was dann?
Und lebtest du dreihundert Jahr und drüber noch hinaus,
Aus dieser Karawanserei mußt du einst doch hinaus.
Ob du ein stolzer König warst oder ob bettelarm,
Das kommt an jenem letzten Tag aufs selbe doch hinaus.
Von allen, die den weiten Weg gemacht,
Hat keiner Nachricht noch zurückgebracht.
Laß nur nichts liegen in dieser Herbergswelt!
Nie kehrt zurück, wer sich erst aufgemacht.
Der Jugend Buch ist aus - und war doch kaum begonnen!
Kaum hat der Lenz geblüht, ist er auch schon verronnen.
Ich merkt' nicht, wie sie kam, noch wie sie flog davon,
Die holde Nachtigall, die Zeit der Jugendwonnen.
Hin ist die Jugendzeit mit ihrem Glanz und Blinken -
Herb ward des Lebens Trank, doch muß ich ihn ja trinken!
Mein Leib, einst wie ein Pfeil, ist jetzt gekrümmt zum Bogen,
Die Sehne ist der Stab, an dem ich nun muß hinken.
Zum Meister ging ich einst - das war die Jugendzeit -
Dann hab' ich mich der eigenen Meisterschaft gefreut.
Und wollt ihr wissen, was davon das Ende ist?
Den Staubgeborenen hat wie Staub der Wind zerstreut. -
O Zeltmacher, dein Leib gleicht einem Zelt,
Der Sultan "Geist" nur kurze Rast drin hält.
Und wenn der Sultan sich zum Aufbruch schickt,
Dann kommt der Tod und bricht es ab, das Zelt.
Von dieser Erdenwelt scheid' ich nun ab,
Die kurze Zeit lang mir ein Obdach gab;
Von allen Rätseln ward mir keins gelöst,
Und tausend Zweifel nehm' ich mit ins Grab.
Als ich noch in der goldnen Jugend stand,
Schien mir des Daseins Rätsel fast bekannt
Doch jetzt, am Schluß des Lebens, seh' ich wohl,
Daß ich von allem nicht ein Wort verstand.
Ich war ein Falke, den sein kühner Flug
Hinauf zum Reich der ew'gen Rätsel trug.
Dort fand ich keinen, der sie mir enthüllt,
Und kehrt zur Erde wieder bald genug.
Hoch überm Firmament sucht' ich die Quelle
Von Vorbestimmung, Paradies und Hölle.
Da sprach mein weiser Lehrer: "Freund, in dir
Allein sind Kismet, Paradies und Hölle."
Fiel Gut' und Böses dir im Leben zu,
Ward Not und Angst dir oder Glück und Ruh',
Schreib' s nicht dem Weltrad zu, das Weltrad ist
Noch tausendmal ohnmächtiger als du! -
Von dieses Weltrads Drehung verstand ich nichts,
Und außer Zweifeln darunter fand ich nichts.
Im Ringen nach Erkenntnis bracht' ich hin
Mein langes Leben - und doch erkannt' ich nichts.
Was diesen goldnen Dom in Umlauf einst gesetzt,
Und wie sein stolzer Bau ins Wanken kommt zuletzt,
Hat keines Weisen Stein zu finden noch vermocht
Und keine Waage noch, kein Maßstab abgeschätzt.
Kein Mensch erklärt die Rätsel der Natur,
Kein Mensch setzt einen Schritt nur aus der Spur,
Die seine Wesensart ihm vorschrieb, und es bleibt
Der größte Meister doch ein Lehrling nur.
Von diesem Kreis, in dem wir hier uns drehn,
Kann ich nicht Anfangspunkt, nicht Endpunkt sehn.
Noch keiner sagt' mir, wo wir kamen her,
Und keiner weiß, wohin von hier wir gehn. -
Mit Schmerzen führt'st ins Dasein Du mich ein.
Das Leben gab mir nichts als lauter Pein,
Mit Widerstreben scheid' ich. - Sprich, was war
Der Zweck von meinem Kommen, Gehn und Sein?
Was hat es Dir genützt, daß ich gekommen?
Was hilft's Dir, wenn Du einst mich fortgenommen?
Ach, keines Menschen Ohr hat je vernommen,
Wozu von hier wir gehn, wozu hierher wir kommen.
Als Du das Leben schufst, schufst Du das Sterben:
Uns, Deine Werke, weiht'st Du dem Verderben.
Wenn schlecht Dein Werk war, sprich, wen trifft die Schuld?
Und war es gut, warum schlägst Du's in Scherben?
Zuerst hatt' Ich mein Ich noch nicht erkannt,
Zuletzt zerschneidst Du des Bewußtseins Band.
Da dies von Anfang Deine Absicht war,
Was macht'st Du mich erst mit mir selbst bekannt?
Die einen streiten viel um Glauben und Bekenntnis,
Die andern grübeln tief nach Wissen und Erkenntnis;
So wird es gehn, bis einst der Ruf sie schreckt:
Es fehlt so euch wie euch zur Wahtheit das Verständnis.
Um Dogmen und Satzungen streiten die einen,
Die andern um Glauben oder Verneinen.
Wer sind nun die, denen die Wahrheit sich zeigt?
Die Antwort ertönt: sie zeigt sich keinen.
Das Rätsel dieser Welt löst weder du noch ich,
Jene geheime Schrift liest weder du noch ich. -
Wir wüßten beide gern, was jener Schleier birgt,
Doch wenn der Schleier fällt, bist weder du noch ich.
Die ihre Lust nur stets gesucht im Wein,
Und die gegrübelt nur nach Schein und Sein,
Sie alle fanden der Wahrheit Faden nicht,
Redeten wirr und schliefen schließlich ein.
Könnt'st lebend du der Welt Geheimnis fassen,
Würd'st auch im Tod von diesem Hort nicht lassen.
Was lebend du nicht fass'st, wie willst du das
Erst fassen, wenn die Sinne dir erblassen?
Der Welt Geheimnis wirst du nicht ergründen,
as Wort, das keiner fand, wirst du nicht finden.
Schaff dir mit Wein ein Erdenparadies!
Obs dort ein Paradies gibt, wird sich finden.
Von allen, die auf Erden ich gekannt,
Ich nur zwei Arten Menschen glücklich fand:
Den, der der Welt Geheimnis tief erforscht,
Und den, der nicht ein Wort davon verstand.
In einem Arm den Krug, im andern den Koran,
Bald auf dem graden Weg, bald auf verbotner Bahn,
So bin ich unter dem türkisgewölbten Dom
Kein ganzer Heide und kein rechter Muselman.
Als Gott einst meinen Brei zurechtgegossen,
Ist Gut' und Böses mit hineingeflossen.
Drum kann ich wahrlich auch nicht besser sein,
Als Er mich selbst einst in die Form gegossen.
Als unsern Lehm einst rührte Gottes Spaten,
Wußt' Er im voraus alle unsre Taten.
Drum sünd'gen wir nicht, ohne daß Er's will,
Und dafür soll'n wir in die Hölle braten?
Nach Regeln der Vernunft zu leben,
Ist zwar ein gar vergeblich Streben,
Doch Meister Schicksals flinke Hand
Schlägt tüchtig zu und lehrt uns leben.
Der Griffel, der am ersten Tag geschrieben
Der Wesen Scjicksal, ist dann stehn geblieben.
Nich mehr kann ich erreichen, als er schrieb. -
Umsonst ist all mein Streben, Hoffen, Lieben!
Da diese Welt doch nur ein Gaukelstück,
Hoffst du umsonst in ihr auf wahres Glück.
Und jene Feder, die dein Schicksal schrieb,
Sie kehrt um deinetwillen nicht zurück.
Durch Heuchelei kannst du das Volk belügen,
Was Gott dir schickt, darein mußt du dich fügen;
Was du für List und Ränke auch ersinnst,
Was hilft's? Das Schicksal kannst du nicht betrügen.
Wie kommt's, daß du vorm Schicksal oft gebebt hast?
Was macht's, was du getan, gesagt, erstrebt hast?
Wenn du vom Leib einst ziehst des Lebens Kleid,
Was macht's dann, ob du überhaupt gelebt hast?
Der bin ich nicht, daß ich vorm Tode könnte beben;
Viel eher als vorm Tod bangt es mir noch vorm Leben.
Gott hat das Leben mir geliehn auf kurze Zeit,
Wenn er's zurückverlangt, bin ich's bereit zu geben.
In jener Nacht, wo keine Sterne blinken,
Wo keines Auswegs Hoffnungsstrahlen winken,
Schrick nicht zurück, wenn deine Reihe kommt,
Der Becher kreist, und jeder muß ihn trinken. -
Was auch vom Schicksal dir beschieden sei,
Begnügne dich damit und lebe frei!
Laß dir nichts bieten, und wär's von Rustem Sal,
Laß dir nichts schenken, und wär's von Hatim Tai!
Hast du ein eignes Heim nur schlecht und recht,
Und bist du niemands Herr und niemands Knecht,
Dazu ein halbes Brot und frischen Trunk,
Dann hast du's, Freund, in dieser Welt nicht schlecht.
Man sagte einst, daß Ansehn in der Welt hat,
Wen großer Ahnen Name hoch gestellt hat
Oder wen eignes Können macht zum Mann.
Heut fragt man nur danach, ob einer Geld hat.
Die Großen, die die Ämter all gepachtet
Und vor Begier nach Gold und Ehr' verschmachtet,
Die sehen den kaum als 'nen Menschen an,
Wer nicht, wie sie, nach Geld und Titeln trachtet.
Die keinen Schritt jemals vom Weg gemacht,
Die bis zum Morgen nie die lange Nacht
Im Suchen nach der Wahrheit durchgewacht,
Und manchen Braven um Leib und Ehr' gebracht.
Laß Weise nur und Edle in dein Haus,
Nimm vor dem Toren meilenweit Reißaus.
Reicht dir ein Weiser Gift, so trink's getrost,
Reicht Gegengift ein Tor dir, gieß es aus!
Der Menschen eitle Lust gleicht einem bösen Hunde,
Der durch sein leer Gebell uns stört zu jeder Stunde,
Fuchsartig schleicht und wie ein Hase schläft,
Mit Wolfestücke uns versetzt manch tiefe Wunde.
Da ich nie das gewollt, was ich gesollt,
Ward meinen Wünschen Achtung nie gezollt,
Da alles, was Er will, das Rechte ist,
Ist Unrecht alles das, was ich gewollt.
Aus zarten Blumen wobst Du ihr Gesicht,
Gabst ihm des Mondes Glanz, der Sonne Licht,
Und dann verbotst Du mir, sie anzusehn! -
Das heißt doch: Kehr den Becher und gieße nicht!
Solche Verbote, wo es ausgeschlossen,
Daß man sie einhält, sind denn das nicht Possen?
Ist das nicht so, als riefst Du: "Umgedreht
Den vollen Becher, doch nichts ausgegossen?"
Du hast uns tausend Fallen aufgestellt
Und sprichst: "Verdammt ist der, der in sie fällt!"
Wir sündigen -und tun doch Dein Gebot,
Denn Dein Gebot beherrscht die ganze Welt.
Du mischtest mich zur Freude wie zum Leide,
Du wobst in mir die Wolle und die Seide,
Gutes und Boses sind in mir von Dir,
In mein Geschick schrieb Deine Hand sie beide.
Frei von der Welt ward ich noch nie hienieden
Und nie noch war ich mit mir selbst zufrieden.
Solang' ich hier schon in die Lehre geh',
Mir ward noch keine Meisterschaft beschieden.
An dieser Welt bleib' ich doch immer kleben,
An ihr erlahmt mein noch so hohes Streben,
Kein Wissen, das mich über sie erhebt
Und kein Verstand, um ohne sie zu leben. -
Die einen verfielen in Selbstgefälligkeit,
Die andern hoffen auf die Herrlichkeit
Von Huris und Palasten. Ach wie weit
Sind beide vom Weg zu Dir, wie weit, wie weit! -
O Herr! von Selbstgefälligkeit erlöse mich!
Lenk mich zu Dir, und von mir selbst erlöse mich!
Solang ich nüchtem bin, kenn' Gut und Böse ich,
Vergessen laß im Rausch Du Gut und Böse mich.
Als gestern mich mein Fuß ins Weinhaus trug,
Sah einen trunknen Greis ich, den ich frug:
"Fürcht'st du dich nicht vor Gott?" Er aber sprach:
"Gott ist ja gnädig, trink! Du bist nicht klug."
Daß einst ich trinken würde zu meiner Zeit,
Hat Gott gewußt seit aller Ewigkeit.
Drum reich' mir nur den Trunk, denn tränk' ich nicht,
Wo bliebe da Seine Allwissenheit?
Khajjam! ob deiner Sünden Last was schämst du dich?
Warum zu beßrer Einsicht nicht bequemst du dich?
Dem, der nicht sündigt, wird auch nicht verziehn;
Vergebung folgt der Sünde -drum was grämst du dich?
Nur durch mein Trinken prosperiert die Schänke,
Der Wirt wär' längst bankrott, wenn ich nicht tränke.
Gem tät ich Buße, doch die Wohltat fehlt,
Wenn ich nicht mehr den Schritt zum Weinhaus lenke.
Warum denn nur den Weltlauf angeklagt?
Warum mit Grübeln nur das Herz zernagt?
Sei guter Dinge, denn man hat dich ja
Von allem Anfang nicht um Rat gefragt.
Daß ich geboren ward, verdank' ich Deiner Huld,
Mein hohes Alter Deiner Langmut und Geduld.
Nach hundertjähr'gem Sündenleben will ich sehn,
Ob Deine Gnade größer oder meine Schuld.
Ich hab' auf Deine Huld mich ganz und gar verlassen
Und Deiner Lehren Weg seit manchem Jahr verlassen.
Wo Deine Gnade strahlt, ist ja doch alles gleich:
Versäumt ist wie Geschehn, Getan wie Unterlassen.
Der Böses du getan und Gutes unterlassen
Und dich auf Gottes Huld und Gnade hast verlassen,
Glaub mir! trotz Gottes Huld ist doch am Jüngsten Tag
Versäumt nicht gleich Geschehn, Getan nicht Unterlassen.
Alle Begierden schlug mir aus dem Sinn ich
Und aller Menschen Freundschaften gab hin ich -
Doch, lebt' ich wie ein Mönch im Kloster auch,
Du weißt's und ich; so wie ich bin, so bin ich.
O halt mir fern des Lebens bange Sorgen,
Mein böses Tun halt vor der Welt verborgen;
Laß heut mich glücklich sein, und was Dir dann
In Deiner Gnade gut dünkt - tu mir morgen.
O Frömmler, einen Wunsch nur mir erfülle!
Spar deinen guten Rat und schweig mir stille.
Glaub mir, ich geh' gradaus, du siehst nur schief -
Drum laß mich gehn und kauf dir eine Brille!
Zu dem Propheten sollt ihr gehh und sagen:
"Es läßt Khajjam dich grüßen und dich fragen:
Wie kommt's, daß saure Milch du mir erlaubt
Und daß ich süßem Weine soll entsagen?"
Geht zu Khajjam und sagt, ich laß ihm sagen:
"Ein Tor nur kann so unvernünftig fragen.
Den Weisen trifft ja nicht mein Weinverbot,
Allein dem Toren mußt ich ihn versagen."
Was heut hierher mich trieb? Ich sag' es unverhohlen:
Ich hatt' in der Moschee 'nen Betteppich gestohlen,
Der ist jetzt alt und schlecht, drum kam - ein seltner Gast -
Ich heute wieder her, 'nen neuen mir zu holen.
Mir steht nicht die Moschee und nicht die Kirche offen,
Mein Wesen ward gemischt, Gott weiß aus was für Stoffen!
Ein Derwisch ohne Glauben, ein Weibsbild ohne Reiz,
Auf dieser WeIt kein HeiI, auf jene Welt kein Hoffen.
In Kirchen und Moscheen und Synagogen
Wird man um seiner Seele Ruh' betrogen.
Doch dem, der der Natur Geheimnis ahnt,
Wird keine Angst vorm jenseits vorgelogen.
Hölle und Paradies sah keines Menschen Blick,
Wer kam denn je zu uns aus jener Welt zurück?
Umsonst ist unsre Angst, vergebens unser Hoffen,
Ein Trug des Jenseit's Qual, ein Wahn des Jenseits' Glück! -
Wozu in Kirchen und Moscheen die Plage?
Wozu nach Höll' und Paradies die Frage?
Wo auf die Tafel doch des Meisters Hand
Das, was geschehn soll, schrieb am ersten Tage!
Kaaba und Götzenhaus bedeuten Knechtung,
Der Christen Glocken, hört, sie läuten Knechtung.
Kirche und heil'ge Schnur und Rosenkranz und Kreuz,
Wahrlich, sie alle nur bedeuten Knechtung.
Rastlos durchwandert' ich die Welt wohl viele Male,
Zu suchen nach Dschemschids weltspiegelndem Pokale.
Doch als der Meister mir den Kelch genau beschrieb,
Merkt' ich, ich selber war Dschemschids berühmte Schale.
Der ganzen Schöpfung letzter Zweck sind wir,
Im Weltenauge sind die Sehkraft wir.
Die ganze Welt ist wie ein großer Ring,
Wir sind der Edelstein, des Ringes Zier.
Ein Wille außer Ihm im All regiert nicht,
Das, was Sein Wille nicht befiehlt, passiert nicht.
Alles, was ist, ist so, wie Er's gewollt,
Was nicht so ist, wie's sein soil, existiert nicht.
Da doch nur eintrifft, was Er zugelassen,
Wie magst du da noch große Pläne fassen?
Lad dir nicht mehr auf, als du tragen kannst;
Zuletzt heißt's doch nur: gehn und gehen lassen. -
Wie einen Poloball die kreuz und quer
Schlägt dich das Schicksal, wirft dich hin und her.
Sag nichts und füg dich drein, denn das Warum
Von allem weiß nur Er allein, nur Er.
Geht es dir gut, so ist's nur Gottes Huld;
Und geht dir's schlecht, bist du daran nicht schuld.
Ohne dein Mittun wird die Welt regiert,
Drum gibt's nur eine Weisheit, die Geduld!
Du fragtest mich nach der Erscheinungswelt,
Willst wissen, was der Weise von ihr halt? -
Ein Nebelbild, das aus dem Weltmeer steigt
Und wiederum zurück ins Weltmeer fällt.
Dies Spiegelbild der Welt ist leerer Schein,
Kein Weiser hält es für das wahre Sein.
Sei guter Dinge, trink der Traube Saft,
Er wird von diesem Trugbild dich befrei'n.
Der Tropfen weint: "Wie bin vom Meer ich weit!"
Das Weltmeer lacht: "Vergeblich ist dein Leid!
Sind wir doch alle Eins, sind alle Gott -
Uns trennt ja nur das winz'ge Pünktchen 'Zeit'-"
Wir zwei sind einem Zirkel zu vergleichen:
Wenn auch die Spitzen auseinander weichen,
Sind wir doch nur ein Körper, und der Kreis
Muß wieder seinen Ausgangspunkt erreichen.
War auch der Tugend Kleinod nicht das meine,
Strahlt' ich auch nicht in voller Sündenreine,
So zweifl' ich doch an Deiner Gnade nicht,
Nannt' ich doch niemals Zwei das ewig Eine.
Des Schlosses Zinnen färbt des Frührots Strahl,
Der König Tag gießt Wein in den Pokal,
Der Frühaufsteher von des Daches Frist
Schmettert sein „Uschrubu!" ins dunkle Tal. -
Die Zeit des Frühtrunks rückt heran, o Schenke!
Zum Weinhaus führ mich hin, wohlan, o Schenke!
Was fruchtet jetzt noch frommer Rat, sei still,
Spar deine Sprüche und stoß an, o Schenke!
Heut, wo noch Rosendüfte mich umschweben,
Laß froh mich trinken von dem Saft der Reben
Und schilt ihn nur nicht, daß er bitter schmeckt;
Er muß ja bitter sein, sonst wär' er nicht meinLeben. —
Bis einst ich muß ins ew'ge Nichts versinken,
Laß ich des Lebens Lust mir freundlich winken.
Solang ich war und bin und werde sein,
Trank ich und trinke ich und werd' ich trinken.
Eh' dich die Sorgen ganz erschlagen haben,
Sollst du am rosenfarbnen Wein dich laben;
Du bist ja doch kein Gold, das man verscharrt,
Um es dann später wieder auszugraben!
Ist Wein auch Sünde, mach dir nichts daraus.
Bei Geige und Gesang halt' frohen Schmaus!
Reicht man dir den Pokal mit Purpurwein,
Laß keinen Tropfen drin, trink alles aus!
Besieh die Sache nur einmal bei Licht!
Wenn einer von den Muckern zu dir spricht:
"Ich trinke nicht, weil ich einst sterben muß" —
Du stirbst ja, ob du Wein trinkst oder nicht! —
Man sagte mir: „Trink doch nicht sofiel Wein!
Was wäscht denn je von solcher Schuld dich rein?"
"Der Liebsten Antlitz und des Weines Gold!
Kann glänzender wohl die Entschuld'gung sein?" -
Mit Weltschmerz deine Seele plage nicht!
Um das, was einmal hin ist, klage nicht!
An Wein und süßen Lippen lab dein Herz,
Und in den Wind dein Leben schlage nicht!
Soweit ich denken kann, stets hielt gefangen
Das Schicksal grausam mich in seinen Zangen.
Schad', daß uns angerechnet wird die Zeit,
Die ohne Wein und Liebe uns vergangen.
Die Lenze, die da kommen und entschweben,
Sie reißen Blatt für Blatt von unserm Leben;
Doch trinke darum nicht des Trübsinns Gift,
Trinke sein Gegengift im Saft der Reben.
Da nun einmal das Glück den meidet, der Verstand hat,
Und da man Toren nur im Glücke stets gekannt hat,
So trink, was den Verstand benimmt, on dann
Das Glück nicht Sympathie mit deinem Unverstand hat.
Seit Mond und Venus ihre Bahnen gehn,
Hat man was Beßres nicht als Wein gesehn.
Mich wundert's nur, daß jemand Wein verkauft!
Was kann er Beßres denn dafür erstehn?
Der Koran sagt, im Paradies sei Wein
Der Frommen Lohn und holde Mägdelein. -
Dann sei schon hier mir Lieb' und Wein erlaubt,
Wenn's droben doch dasselbe nur soll sein!
Ihr sagt, es schmachtet einst im Höllenbrand,
Wer hier an Lieb' und Wein Gefallen fand. -
Das kann doch nicht so sein, sonst wäre ja
Das Paradies so leer wie meine Hand.
Ich trinke nicht aus bloßer Lust am Zechen,
Noch um des Korans Lehre zu durchbrechen,
Nur um des Nichtseins kurze Illusion! -
Das ist der Grund, aus dem die Weisen zechen.
Der flüssige Rubin, der sich ergießt
Und lachend aus dem Hals der Flasche fließt,
Ist eines Herzens Blut - und der Krystall
Ist eine Träne, die ihn rings umschließt.
Den Weg zur Rose hat noch nie gefunden,
Wer nicht auch ihres Stachels Schmerz empfunden.
Nie wär' der Kamm zu Liebchens Haar gelangt,
Trüge sein Leib nicht hundert tiefe Wunden.
Wenn Du mit meinem Elend Mitleid hast,
Nimm von der Schulter mir der Sünden Last!
Verzeih dem Fug, der nach der Schenke strebt,
Verzeih der Hand, die nach dem Becher faßt!
Ich nahm mir endlich vor, nüchtern und fromm zu sein,
Und in mein Herze zog nun voller Friede ein.
Doch ach! die Frömmigkeit zerschellt' am ersten Krug,
Die Nüchternheit ertrank im ersten Becher Wein!
An jedem Tag nehm' ich mir vor aufs neue,
Daß ich das Trinken lasse und bereue;
Doch nun voll Rosenduft erschienen ist
Der holde Lenz -bereu' ich meine Reue.
Des Beßrungsschwurs Gewand hab' ich zerfetzt,
Die Reue hab' ich durch den Wein ersetzt.
Das wundert dich, weil ich schon siebzig bin! —
Ja, wann soll ich denn leben, wenn nicht jetzt?
Heut ist der holde Tag nicht warm und kalt auch nicht,
Die Wolke wäscht der Welt ihr Blumenangesicht,
Ich hör' die Nachtigall, wie sie zur Rose spricht:
"Blüh auf und lieb und trink, eh' dich der Herbstwind bricht."
Was dir die Zukunft bringt, das frage nicht,
Und die vergangne Zeit beklage nicht.
Allein das Bargeld "Gegenwart" hat Wert,
Nach dem, was war und sein wird, frage nicht.
Mach's wie die Tulpe, schwing zum Neujahrsfest
Den Purpurkelch! - und bring des Jahres Rest
Mit einer tulpenwangigen Maid dahin,
Eh' dich des Schicksals Glut verwelken läßt.
Mit Wein und holder Maid die Zeit vertreibe,
Und sorg, daß fern der Feinde Haß dir bleibe.
Setz dich zur Liebsten und vergiß dein Selbst
Und zieh des Eigendünkels Hemd vom Leibe!
Ein Liederbuch, ein Brot, ein irdner Krug voll Wein,
Vom Lamm ein Schenkelstück -und dann so ganz allein
In weiter Flur mit dir, du tulpenwang'ge Maid,
Ein Sultan möchte wohl an meiner Stelle sein!
Ein Krug voll Wein und du Saki, am Rand der Quelle,
Das steht bei uns schon längst an Paradieses Stelle.
Hör nicht, was man dir sagt von Höll' und Paradies!
Wer war denn jemals dort in Paradies und Hölle?
Wer hat dich, Himmelstochter, heute nacht
Zu mir, dem Sehnsuchtskranken, hergebracht,
Der ohne dich verschmachtet? Wessen Hand
Hob deinen Schleier und zeigt' mir deine Pracht?
Auf dieser Erde ohne Rast und Ruh
Bracht ich im Suchen viele Jahre zu:
Da war kein Mond, der dir an Glanze glich,
Keine Zypresse war so schlank wie du!
Ich bin befreundet mit dem Trennungsschmerze,
Wo ich auch geh' und steh', füllt er mein Herze.
Dein nur gedenkend seufz' ich Tag und Nacht,
An meinem Bette brennt der Sehnsucht Kerze.
O weh um jenes Herz, in dem kein Feuer brennt
Das nicht die hehre Glut der Liebessonne kennt;
Wer einen ganzen Tag ohn' Liebe hingebracht,
Tut recht, wenn jenen Tag er 'nen verlornen nennt.
Der Schöpfung Zweck und Streben ist die Liebe,
Die Kraft im Saft der Reben ist die Liebe,
Sie ist der Reim im Lied der Jugendzeit,
Merk auf mein Wort, das Leben ist die Liebe.
Wahrhaft Verliebten ist Schön und Häßlich gleich;
Sie fragen nicht, ob Höll', ob Himmelreich,
Ob ihre Kleidung Lumpen oder Samt,
Ihr Pfühl ein Backstein oder Polster weich.
Wenn ich einst sterbe, waschet mich mit Wein,
Ein lust'ges Trinklied soll mein Grablied sein!
Und wenn am Jüngsten Tag man nach mir fragt,
So sucht im Staub der Schenke mein Gebein.
Ihr Freunde, wenn zu fröhlichem Gelage
Ihr euch vereint und frei von aller Plage
Euch an einander freut, gedenket dann
Des armen Zechgenossen früh'rer Tage!
Ich geh' dahin und laß die Welt zurück im Streit,
Und hatt' von hundert Perlen doch kaum eine aufgereiht. -
Unausgesprochen blieb so manches tiefe Wort,
Weil's doch niemals verstanden hätte meine Zeit.
Omar, der Zeltmacher, hat von früh bis spät
An manchem Zelt der Philosophie genäht,
Bis Schicksals Schere sein Lebensseil ihm kappt
Und Trödler Tod ihn um ein Nichts ersteht.